Russland erlaubt Atomschläge bei erweiterten Bedrohungen – DW – 20.11.2024

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die aktualisierte Nukleardoktrin unterzeichnet, in der die Liste der Bedingungen für einen russischen Nuklearschlag erweitert wurde. Demnach behält sich Russland das Recht vor, mit Nuklearwaffen auf die Aggression eines Staates zu reagieren, selbst wenn dieser keine eigenen Atomwaffen besitzt. Es reiche, wenn der Aggressor von einer Atommacht unterstützt werde, heißt es. Dann werde selbst ein konventioneller Angriff auf Russland als gemeinsamer Schlag betrachtet und könne eine atomare Antwort zur Folge haben.

Konkrete Hinweise auf bestimmte Staaten gibt es im Text nicht, doch bieten sich im Kontext des Ukraine-Kriegs Parallelen zur Ukraine (ein Staat ohne Atomwaffen) und ihren NATO-Verbündeten (unter anderem die Atommächte USA und Frankreich) an.

Alte Formulierung mit neuer Bedeutung 

Der unabhängige russische Atomwaffenexperte Pavel Podvig unterstreicht im Gespräch mit der DW, dass diese Formulierung zwar bereits seit 1995 existiere. Dennoch sei man damals “vom umgekehrten Fall ausgegangen: eine Atommacht wurde als potentielle Quelle der Aggression betrachtet – gemeint war ganz sicher ein NATO-Staat – und sein Verbündeter ohne Atomwaffen sollte mitbestraft werden”.

In der neuen Doktrin wird außerdem die Aggression eines Staates, der einem Militärbündnis angehört – etwa der NATO – gegen Russland oder seine Verbündeten als Aggression der gesamten Koalition betrachtet.

Mehr “militärische Gefahren”  

Auch heißt es, der Kreml könne den Einsatz von Atomwaffen selbst dann erwägen, wenn er “zuverlässige Informationen über den massiven Einsatz von Luft- und Raumfahrtmitteln“ und deren Überschreiten der russischen Grenze erhalte. Darunter fallen Flugzeuge, Raketen und Drohnen.

Wladimir Putin spricht bei der Sitzung des Sicherheitsrates zur nuklearen Abschreckung im Kreml (September 2024)
Wladimir Putin spricht bei der Sitzung des Sicherheitsrates zur nuklearen Abschreckung im Kreml (September 2024)Bild: Aleksei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa/picture alliance

Das neue Dokument erweitert die Liste der so genannten militärischen Gefahren, die den Einsatz nuklearer Abschreckung rechtfertigen. Dazu gehören ab sofort auch der Besitz von Massenvernichtungswaffen jeglicher Art, die gegen Russland eingesetzt werden könnten, sowie militärische Übungen in Grenznähe.

Darüber hinaus können laut der Doktrin Atomwaffen von Russland eingesetzt werden, wenn eine “kritische Bedrohung für die Souveränität der Russischen Föderation und konventionelle Waffen” vorliegt. Was unter einer “kritischen Bedrohung“ zu verstehen ist, wird nicht erläutert.

Das Wörtchen “kritisch” ist entscheidend 

Pavel Podvig weist darauf hin, dass in der früheren Version nur von einer Bedrohung “der Existenz des Staates selbst“ zu lesen war. Auf die Frage, ob die Besetzung von Teilen der russischen Region Kursk durch die ukrainische Armee oder US-Raketenangriffe auf russische Flugplätze eine Bedrohung der territorialen Integrität Russlands darstellen, hebt Pudvig das Wort “kritisch” in der neuen Doktrin hervor.

Ukraine Mariupol 2022 | Trümmer vor Asow-Stahlwerk nach Eroberung durch russische Truppen
Teil der Ukraine, aber besetzt von Russland: das frühere Asow-Stahlwerk in MariupolBild: AP Photo/picture alliance

Welche Art von Bedrohung als kritisch angesehen werden können und welche nicht, sei unklar. Solche Dinge würden absichtlich nicht definiert – in solchen Dokumenten gäbe es immer Raum für Interpretationen. “Wie ich immer sage: Sie werden damit nicht vor Gericht gehen, niemand wird vor einem Atomschlag eine Anhörung durchführen,” ironisiert Podvig.

Und dennoch stecke ein gewisser Sinn in diesen Formulierungen, findet der Experte. “Wie kann zum Beispiel der theoretische Verlust der annektierten ukrainischen Gebiete wahrgenommen werden? Russland kann natürlich behaupten, dass dies eine kritische Bedrohung der territorialen Integrität darstellt, aber niemand auf der Welt erkennt diese Gebiete als Teil der Russischen Föderation an.” Es wäre also schwierig, sich darauf zu berufen, dass es sich um eine kritische Bedrohung der Souveränität handelt. 

Droht nun der Atomkrieg? 

Die neue Doktrin bedeute aber keineswegs, dass Russland einen atomaren Krieg schon jetzt vorbereite, so Podvig. Auch den Einsatz von Nuklearwaffen gegen die Ukraine in der Ukraine hält er für äußerst unwahrscheinlich: “Im militärischen Sinne würde es keinen Sinn machen, weil sich die Situation an der Front nicht verändern wird. Dabei muss man verstehen, dass die Reaktion auf einen solchen Einsatz äußerst negativ ausfallen wird, und zwar von allen anderen Ländern.”

Ein neues atomares Wettrüsten ist im Gang

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Im Dokument werde lediglich das Recht vorbehalten, in dieser oder jener Situation Atomwaffen einzusetzen. “Niemals wird gesagt, dass ‘wir sie einsetzen werden’ oder wir ‘zum Einsatz verpflichtet sind’. Alles bleibt dem Ermessen desjenigen überlassen, der sie einsetzt.” Es handele sich um ein deklaratorisches Dokument, das nach außen gerichtet sei und allen möglichen Gegnern erkläre, wie Russland die Rolle von Atomwaffen bei der Gewährleistung seiner Sicherheit sehe.

Botschaft an den Westen 

Zu diesen möglichen Gegnern gehören auch westliche Politiker, an die sich die neue russische Nukleardoktrin in erster Linie richtet. Das bestätigen auch die Kommentare in der russischen Presse. Bei pravda.ru heißt es etwa, dass die Doktrin zwar keine radikal neuen Bestimmungen enthalte, ihre Bedeutung aber darin liege, dass sie als wichtiges Signal an andere Staaten diene.

US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin bei ihrem letzten gemeinsamen Gipfel im Juni 2021 in Genf.
Ist die Nukleardoktrin eine Botschaft von Putin an das Team des scheidenden US-Präsidenten Biden?Bild: Saul Loeb/Pool via REUTERS

“Länder, die bereit sind, einen Konflikt mit Russland einzugehen, riskieren eine nukleare Antwort. Diese Doktrin ist in erster Linie eine Botschaft an das scheidende Team des US-Präsidenten“, resümiert der russische Politikwissenschaftler Nikolaj Kostikin.

Putins Sprecher Dmitri Peskow wich der Frage aus, ob es einen Zusammenhang zwischen der Erneuerung der Doktrin und der Genehmigung der USA, US-Raketen auf dem russischen Territorium durch die ukrainische Armee einzusetzen, gäbe. Die aktualisierte Doktrin sei “rechtzeitig“ veröffentlicht worden. Die entsprechenden Anweisungen des Präsidenten, eine neue Version der Doktrin vorzubereiten, seien lange im Voraus erteilt worden.

Faktencheck: Das Christentum als Terrorideologie eingestuft? – DW – 20.11.2024

Religion kann starke Gefühle wecken. Antisemitismus und anderer Hass können heftige Diskussionen auslösen. Die Kombination ist ein Garant für viele Klicks. Mit diesem Rezept hat ein User, der seinen X-Account nach eigenen Angaben zum Geldverdienen nutzt, mit einem Post binnen 18 Stunden die eine-Million-“Views”-Marke auf X (ehemals Twitter) geknackt.

Behauptung: “Die ADL hat das Christentum in die Liste für Extremismus, Terrorismus und Bigotterie aufgenommen.”  Als angeblichen Beweis postet der User einen Screenshot der Internetseite der ADL auf der die “Christian Identity” (Deutsch: Christliche Identität) mit “Terrorismus, Extremismus und Bigotterie” in Verbindung gebracht wird.

Der Post wurde mehr als 4000 Mal in verschiedenen Sprachen  und Ländern geteilt . Besonders erfolgreich ist er bei Accounts, die antisemitische Inhalte verbreiten .

DW-Faktencheck: Falsch.

Der Screenshot zeigt tatsächlich eine Internetseite der Anti-Defamation League (ADL) , einer jüdischen Lobbyorganisation in den USA. Mit der “Christian Identity” ist jedoch nicht der christliche Glauben gemeint oder gar alle Menschen, die sich zu ihm bekennen.

Was ist Christian Identity?

Christian Identity (CID) ist eine Bewegung, die nicht nur die ADL als terroristisch bezeichnet. In einem Dokument von 1989 konstatiert das Federal Bureau of Investigation (FBI), in seiner Funktion als US-amerikanischer Inlandsgeheimdienst, dass die CID eine Botschaft voller “Rassenhass unter dem Deckmantel der Religion”  verbreite. Ihre Ideologie leite sie aus einer sehr eigenwilligen Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichte ab.

Laut FBI wurde vor allem in den 1980er Jahren gegen eine Reihe Mitglieder verschiedener CID-Gruppen wegen krimineller Aktivitäten ermittelt, “darunter Bombenanschläge, Morde, Raubüberfälle und Waffenverstöße. Alle diese Aktivitäten wurden zur Förderung der weißen Vorherrschaft durchgeführt, deren Grundlage in der (Christian, d.R.) Identity enthalten ist.” Das FBI kommt zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei den Anhängern der Bewegung um “Fanatiker” handeln müsse.

Screenshot der ADL-Website zur Christian Identity
Die ADL bezeichnet Christian Identity als eine “in rechtsextremen Kreisen verbreitete religiöse Ideologie”Bild: ADL

Auch die US-Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center (SPLC) stuft CID als Ideologie mit tief verwurzeltem Rassismus und Antisemitismus ein: “Sie behauptet, dass die Weißen und nicht die Juden die wahren Israeliten sind, die von Gott in der Bibel bevorzugt werden.”  Die Bewegung habe nach den 1980er Jahren zwar an Einfluss verloren und finde kaum noch neue Anhänger, gehöre aber zu den radikalsten Gruppen unter den “White Supremacists” – also Gruppen, die eine Vorherrschaft weißer Christen in den USA propagieren.

Diese Beschreibungen decken sich in weiten Teilen mit dem, was auch die ADL auf ihrer Website über die CID-Bewegung berichtet.

Wer ist die ADL?

Laut Selbstauskunft ist das Ziel der der 1913 als Bürgerrechtsorganisation gegründeten Anti-Defamation League (ADL) mit Sitz in New York City: “Die Diffamierung des jüdischen Volkes zu stoppen und Gerechtigkeit und faire Behandlung für alle sicherzustellen.”

Kritiker aus unterschiedlichen Ecken des politischen Spektrums werfen der ADL vor, Kritik an Israel und seiner Regierungspolitik zu häufig als antisemitisch zu brandmarken . Nach Meinung der ebenfalls jüdischen Organisation J Street  nimmt die ADL dabei sogar zum Teil in Kauf, dass “legitime Kritik am jüdischen Staat unterdrückt” werde.

US-Wahl: Angst vor Antisemitismus in Pittsburgh

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Die ADL selbst wehrt sich vehement gegen solche Vorwürfe und listet eine ganze Reihe – aus ihrer Sicht falscher, wiederkehrender – “Mythen” über die ADL auf, um ihnen zu widersprechen.

Was steckt hinter dem Post?

Ohne auf die hier debunkte Behauptung einzugehen, liefert die ADL eine mögliche Erklärung dafür, warum der X-Post so viral ging: “Der aktuelle Einfluss der Christlichen Identität reicht vom Ku-Klux-Klan und Neonazi-Gruppen bis hin zu regierungsfeindlichen Milizen und souveränen Bürgerbewegungen – und doch wissen die meisten Amerikaner nicht einmal, dass es sie gibt.” 

Ob der Urheber des Posts tatsächlich geschockt darüber war, dass die ADL das Christentum vermeintlich als Terrorideologie einstuft, ob er sich als mutmaßlicher Christ angegriffen fühlte oder schlicht Antisemitismus verbreiten wollte, lässt sich nicht sagen. Klar ist aber, dass er oder sie die Mechanismen bedient, die auf X und in anderen Sozialen Medien große Reichweite erzeugen, also genau das bewirken, was das Account-Profil als Ziel ausgibt: mit X Geld zu verdienen.

Die vermeintliche pauschale Verunglimpfung des Christentums durch die ADL rührt an den Kern des christlichen Antijudaismus – nämlich den Verschwörungsmythos, dass “die Juden” die Christenheit entmachten, auslöschen oder zumindest diskreditieren wollten. Mehrere User-Kommentare gehen genau in diese Richtung und der Urheber selbst stimmt ebenfalls mit ein , indem er eine weitere Verschwörungserzählung bedient – nämlich die, dass alle möglichen Institutionen vom israelischen Geheimdienst unterwandert seien: “ADL und SPLC und Wikipedia, haha, 3 Unternehmen im Besitz des Mossad“.

Das Bild zeigt den folgenden Austausch den Kommentaren auf X: User: "This isn't Christianity actually. Christian Identity is a specific ideology which is in fact heretical; even the most devout Kinists out there condemn it." Antwort des Urhebers: Sounds like judeaism lol"
Ein Kommentar erklärt, dass Christian Identity rassistisch sei und ihre Vertreter sich für die wahren Israeliten halten, der Urheber des Ursprungsposts tut das mit “Klingt nach dem Judentum, haha” abBild: X

Die starken Emotionen, die dies auslöst, bewirken offenkundig einerseits, dass viele Nutzer die Behauptung nicht weiter hinterfragen und ihre Empörung ausdrücken oder sarkastisch kommentieren, dass von der ADL als vermeintliche Stellvertreterin des Judentums nichts anderes zu erwarten sei. Andererseits springen auch User darauf an, die den Falschbehauptungen widersprechen, und erhöhen damit ebenfalls die Verbreitung des Posts.

Dafür, dass sich der Urheber diese Emotionen bewusst zunutze macht, sprechen seine Kommentare unter dem Ursprungspost. Die zahlreichen Hinweise von anderen X-Nutzern auf die Falschbehauptung – also darauf, dass Christian Identity eben nicht gleichbedeutend mit der Christenheit ist – nimmt er zur Kenntnis: Er räumt den Irrtum zwar ein, lehnt aber unter Verweis auf die Redefreiheit auf X die Aufforderung ab, den Post zu löschen. Stattdessen bedient er sich weiterer antisemitischer Stereotype (s. Bild), um die Debatte in Gang zu halten und so die Reichweite seines X-Posts zu erhöhen.

Deutschland: Wie drei alte Männer die Linke retten wollen – DW – 20.11.2024

Wenn die Deutschen wahrscheinlich am 23. Februar 2025 bei der vorgezogenen Bundestagswahl über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden, haben sie zwei Stimmen: Mit der ersten können sie eine Person wählen, mit der zweiten eine Partei. Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg ist in der Regel die sogenannte Zweitstimme, also die für eine Partei. Um in den Deutschen Bundestag gewählt zu werden, muss dafür die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen werden.

Davon ist die Linke in Umfragen mal mehr, mal weniger weit entfernt. Bestenfalls kommt sie auf vier Prozent. Zu wenig, um als Partei erneut den Sprung ins Parlament zu schaffen. Es sei denn, bei den Erststimmen erhalten mindestens drei ihrer Kandidaten und Kandidatinnen in ihren Wahlkreisen die meisten Stimmen. 

Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die Linke Glück im Unglück

Von dieser Ausnahmeregelung im Wahlrecht profitierte die Partei schon bei der Bundestagswahl 2021, als sie mit 4,9 Prozent ganz knapp an der Sperrminorität scheiterte. Aber dank drei direkt gewonnener Mandate durften insgesamt 39 Abgeordnete ins Parlament einziehen. Dieses seltene Kunststück müsste die Linke wiederholen, sollte sie erneut unter fünf Prozent bleiben.

Allerdings dürfte ihr das noch schwerer fallen als beim letzten Mal, weil sie viele Wählerinnen und Wähler an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verlieren könnte. Die Anfang 2024 gegründete Partei ist eine Abspaltung der Linken und hat bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen deutlich besser abgeschnitten.

Noch nie stand die Partei so nah am Abgrund

Um dem Schicksal der Bedeutungslosigkeit auf Bundesebene zu entgehen, haben sich nun drei prominente Linken-Politiker mit realistischen Erfolgsaussichten auf ein Direktmandat zusammengetan: Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch. Dieses Trio ist fast schon die letzte Hoffnung einer Partei, deren lange zurückliegende Vergangenheit in der kommunistischen DDR (Deutsche Demokratische Republik) liegt und die mehr denn je um ihre Zukunft bangt.

Am prominentesten ist Gregor Gysi, der bei der Bundestagswahl am 23. Februar 77 Jahre alt sein wird. Sein Name ist wie kein anderer mit der erfolgreichen Transformation der DDR-Staatspartei SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) zur heutigen Linken verbunden. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur 1989 führte der politische Quereinsteiger die Partei ins wiedervereinte Deutschland.

Gregor Gysi ist und bleibt das größte Zugpferd

Seit 1990 gehört Gysi fast ununterbrochen dem Deutschen Bundestag an und hat acht Mal seinen Berliner Wahlkreis mit großem Vorsprung gewonnen. Und obwohl er nach vielen Jahren als Partei- und Fraktionsvorsitzender nicht mehr an vorderster Front der Linken steht, ist der wortgewandte Jurist für die Linke immer noch unverzichtbar. Seine Chancen, wieder direkt in den Bundestag gewählt zu werden, sind sicherlich am größten.

Gysi sieht sich und seine Partei weiterhin als notwendige Stimme im wiedervereinten Deutschland: “Wenn es keine linken Argumente mehr gibt, dann wird die Diskussion im Bundestag viel enger”, meint er und fügt hinzu: “Der Osten war immer das Stiefkind der Politik seit 1990.”                

Dietmar Bartsch hat viele Wahlkämpfe organisiert 

So sieht es auch Gysis jahrzehntelanger Weggefährte und Vertrauter Dietmar Bartsch. Der 66-Jährige stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die Linke seit 2021 als Juniorpartnerin der Sozialdemokratischen Partei (SPD) an der Landesregierung beteiligt ist. Seine wichtigste politische Bühne ist allerdings Berlin. Dort, sagt Bartsch, gebe es im Bundestag nur eine linke Partei: Die Linke. “Alle anderen kämpfen eher um die Mitte.” Man wolle ein Signal senden: “Wir schaffen das. Wir kommen in den Bundestag.”

Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler ist mit einer kurzen Unterbrechung seit 1998 Bundestagsabgeordneter, war mal Fraktionschef und organisierte als Geschäftsführer der Linken zahlreiche Wahlkämpfe. Anders als Gysi wurde Bartsch aber noch nie direkt in den Bundestag gewählt, sondern immer über die Landesliste seiner Partei. Ein Sieg in seinem Wahlkreis wäre also eine Premiere. 

Bodo Ramelow ist einziger Ministerpräsident der Linken

Dritter im Bunde der aussichtsreichen Direktkandidaten für den Bundestag ist Bodo Ramelow. Der erste und einzige Ministerpräsident der Linken ist seit der Niederlage seiner Partei bei der Landtagswahl Anfang September in Thüringen nur noch geschäftsführend im Amt. Diese Zeit wird spätestens mit der Bildung einer neuen Regierung enden.

Portraitaufnahme von Bodo Ramelow aus dem September 2024
Bodo Ramelow ist noch geschäftsführender Ministerpräsident in ThüringenBild: Jens Schlueter/Getty Images

Ramelow, auch schon 68 Jahre alt, ist in Thüringen sehr populär. Sollte er für die Linke bei der Bundestagswahl seinen Wahlkreis gewinnen, wäre das alles andere als eine Überraschung. Und für ihn selbst eine Rückkehr an eine alte Wirkungsstätte, denn Ramelow war von 2005 bis 2009 Bundestagsabgeordneter. Nun will er gemeinsam mit Gysi und Bartsch seiner schwer angeschlagenen Partei zum Wiedereinzug in den Bundestag verhelfen.

Drei Männer im Rentenalter

“Wir mischen uns ein! Wir lassen uns nicht abhalten mit unserer

Terror-Vorwurf: Deutscher in Russland festgenommen – DW – 20.11.2024

Russlands Inlandsgeheimdienst FSB hat nach eigenen Angaben in Kaliningrad einen deutschen Staatsbürger unter dem Vorwurf des Terrorismus festgenommen. Es handele sich um einen 1967 geborenen Mann aus Hamburg, heißt es in Medienberichten aus Russland. Nikolai G. sei im März an einer Explosion an einer Gasverteilerstation in der Region Kaliningrad beteiligt gewesen, so der FSB.

Sprengstoff im Gepäck?

Nikolai G. sei, von Polen kommend, erneut in die Exklave Kaliningrad eingereist, um weitere “Sabotageakte an der örtlichen Energieinfrastruktur zu organisieren”. Dabei sei er an einem Grenzposten gefasst und daraufhin in Untersuchungshaft genommen worden.

Bei der Kontrolle seines Autos soll Flüssigsprengstoff sichergestellt worden sein – angeblich versteckt in einer Shampoo-Flasche. Das explosive Material und den Auftrag zu einem Anschlag habe G. von einem Ukrainer erhalten, der ebenfalls in Hamburg lebe und 1967 geboren sei, meldeten russische Nachrichtenagenturen. 

Unabhängige Bestätigungen für die Angaben liegen nicht vor. Das Auswärtige Amt in Berlin teilte mit, der Fall sei ihm bekannt. “Unser Generalkonsulat in St. Petersburg steht mit den russischen Behörden in Kontakt und hat konsularische Betreuung angeboten.”

Infografik Karte Kaliningrad DE
Kaliningrad ist eine russische Exklave, die an der Ostsee zwischen Polen und Litauen liegt

Vor allem seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 werden in Russland immer wieder Ausländer aus mehr oder weniger stichhaltigen Gründen festgesetzt. Oft wirkt es so, als sollten sie als Faustpfand für einen möglichen Gefangenen-Austausch dienen. Anfang August hatten Russland und westliche Staaten den größten Austausch seit Jahrzehnten vorgenommen. Dabei kam auch ein Mann aus Hamburg frei, der mit Hasch-Gummibärchen am St. Petersburger Flughafen festgenommen worden war.

wa/AR (dpa, rtr, afp)

USA werden Ukraine Antipersonenminen zur Verfügung stellen – DW – 20.11.2024

Es handele sich um Schützenminen, die mit einer Selbstzerstörungs- oder Deaktivierungsvorrichtung ausgerüstet seien, sagte ein US-Beamter der Nachrichtenagentur AFP. US-Präsident Joe Biden sei damit von seiner bisherigen Position abgerückt, um der Ukraine im Kampf gegen das russische Militär zu helfen, berichtete die Zeitung “Washington Post” unter Berufung auf ranghohe Vertreter der US-Regierung.

Grund für den Kurswechsel im Weißen Haus sei das stetige Vorrücken russischer Truppen im Donbass. Die Lieferung dieser Minen sei nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums ein wirksames Mittel, um das Vordingen der russischen Einheiten zu verlangsamen. Der Einsatz dieser Schützenminen, auch als Antipersonenminen bekannt, werde auf die Ostukraine beschränkt. Das russische Militär hat am Rande der besetzten Gebiete in der Ukraine selbst dichte Minenfelder ausgelegt und damit eine ukrainische Offensive zum Scheitern gebracht. 

Der Einsatz von Minen ist international geächtet. Die 1999 in Kraft getretene sogenannte Ottawa-Konvention von 1999 verbietet Einsatz, Produktion und Weitergabe dieser heimtückischen Waffen, die auch lange Zeit nach Kampfhandlungen Menschen schwer verletzen oder töten vor allem in der Zivilbevölkerung einer verminten Region. Die Konvention wurde von 164 Staaten unterzeichnet und ratifiziert, nicht jedoch von Russland und den USA. Die Ukraine hat das Papier 2005 anerkannt.

Erst am Sonntag hatte die US-Regierung bereits erlaubt, die von Washington gelieferten Waffen mit größerer Reichweite auch gegen militärische Ziele im russischen Landesinneren einzusetzen. Die Regierung in Kyjiw hatte seit Monaten grünes Licht für solche Einsätze gefordert.

Selenskyj lässt aufhorchen

Derweil ließ der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer Äußerung zur Zukunft seines Landes aufhorchen. Bei der Vorstellung eines Widerstandsplans gegen die russische Invasion deutete er die Möglichkeit einer zeitweiligen russischen Kontrolle über ukrainische Gebiete an. “Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau über

Depression in der Liebe: Herausforderung für die Beziehung – DW – 20.11.2024

Die Depression, sagt Stefanie, ist so, als hätte man im Bauch ein schwarzes Loch, das alle Energie aufsaugt. Manchmal fühle es sich auch an wie ein Overall aus Blei. Schon seit ihrer Kindheit wird sie von der Depression begleitet. Wenn sie darüber spricht, hört ihr Verlobter Florian neben ihr aufmerksam zu. Auch er ist in der Beziehung von Stefanies Depression betroffen und musste erst lernen, mit ihrer Krankheit umzugehen.

Sie sitzen an diesem Tag zusammen auf dem Balkon der Wohnung in Darmstadt, in der sie nun schon seit einiger Zeit

Der Nagelsmann-Faktor: DFB-Team zurück in der Erfolgsspur – DW – 19.11.2024

Als Bundestrainer Julian Nagelsmann nach rund einer Stunde Florian Wirtz, Jamal Musiala und Kai Havertz einwechselte, war klar, dass der 37-Jährige auch dieses letzte Spiel gegen Ungarn gewinnen wollte.

Obwohl seine Mannschaft durch ein Tor von Felix Nmecha bis kurz vor Schluss in Führung lag, verpasste das DFB-Team den elften Sieg in diesem Jahr – das Spiel gegen Ungarn endete 1:1-Unentschieden. Dennoch hat die Elf von Nagelsmann in diesem Jahr mehr Spiele gewonnen als in den vergangenen zwei Jahren zusammen (10 Siege 2024, 3 Siege 2023 und 4 Siege 2022).

Nachdem sich die Nationalmannschaft im vergangenen Spiel gegen Bosnien-Herzegowina bereits den Gruppensieg in der Nations League sichern konnte, nutzte der Bundestrainer die letzte Partie des Jahres, um der zweiten Reihe eine Chance zu geben.

Fußball: Nations League A | Ungarn - Deutschland | Alexander Nübel pariert Schuss
Beim letzten Spiel in diesem Jahr ist Torwart Alexander Nübel mit guten Paraden zur StelleBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Doch außer Torwart Alexander Nübel, der einige Mal stark parieren konnte, agierte das DFB-Team über weite Strecken ideen- und mutlos. Ganz im Gegensatz zu den vergangenen Monaten fehlte es Nagelsmanns Team an der letzten Durchschlagskraft.

Nagelsmann: “Jetzt sind alle da”

Dennoch darf dieses Spiel nicht über die beeindruckende Entwicklung der Nationalmannschaft in diesem Jahr hinwegtäuschen. Der Bundestrainer hat das Bild der DFB-Elf nachhaltig verändert und vor allem den Zusammenhalt des Teams gestärkt.

“Wenn ich jetzt ein Jahr zurück denke – das ist sehr hypothetisch – aber glaube ich, dass einige Spieler angerufen und gesagt hätten: ‘Ich habe ein paar Probleme und ich komme nicht. Ich brauche meine Kraft für den Verein.’ Aber jetzt sind trotzdem alle da.”

Fussball | Julian Nagelsmann beim Abschlusstraining der deutschen Nationalmannschaft
Julian Nagelsmann hat die Stimmung in der Nationalmannschaft nachhaltig positiv verändertBild: Marvin Ibo Güngör/GES/picture alliance

So wie Jonathan Tah, der beim Spiel gegen Bosnien-Herzegowina seine zweite Gelbe Karte in der Nations League bekommen hatte und somit gegen Ungarn gesperrt war. Der Leverkusener reiste aber nicht ab, sondern blieb bei der Mannschaft. “Es gehört zu einem gut funktionierenden Teamgeist dazu. Es ist gut, dass er dabei ist und ein gutes Zeichen”, freute sich Nagelsmann.

Nagelsmann: “Ich habe gewisse Prinzipien”

Mit 37 Jahren hat Nagelsmann bereits viel Erfahrungen im Trainergeschäft sammeln können. Der Job des Bundestrainers ist seine vierte Station als Chef an der Seitenlinie. Schon 2016 wurde der damals 28-Jährige Cheftrainer der TSG Hoffenheim und damit der jüngste Coach in der Geschichte der Bundesliga. Es folgten Engagements in Leipzig und schließlich bei seinem Herzensverein FC Bayern München, mit dem Nagelsmann in der Saison 2021/22 Deutscher Meister wurde.

Bei alle seinen Vereinen zeichnete sich der Trainer durch eine klare Spielidee aus, von der er nur selten abweicht. Er wolle durch “Spielkontrolle durch hohe Balleroberung und Tempowechsel im Ballbesitz” die Gegner kontrollieren. “Ich habe gewisse Prinzipien, da gehe ich im Grunde keine Kompromisse ein. Die gelten immer, ganz egal, wie es steht, wer der Gegner ist oder wer spielt”, sagte Nagelsmann in einem Interview mit der UEFA.

Nagelsmann leitet Wende ein

Der junge Trainer gilt als fußballverrückt im positiven Sinne. Ein echter Fußball-Nerd, der seiner Mannschaft stets seinen Stempel, also seine Spielphilosophie, aufdrücken möchte. Entsprechend startete er – als er im September 2023 Hansi Flick als Bundestrainer beerbte – hochmotiviert und mit vielen eigenen Ideen.

Fussball-Länderspiel | Deutschland - Türkei
Gegen die Türkei verliert das DFB-Team – die Stimmung danach ist am BodenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Doch die ersten Länderspiele verliefen wenig erfolgreich: ein Sieg, ein Unentschieden und zwei schmerzhafte Niederlagen gegen die Türkei und Österreich. Nagelsmann geriet auf der Suche nach seiner Erfolgsformel bereits früh ins Stocken. Taktische und personelle Entscheidungen, wie die, Offensivspieler Kai Havertz gegen die Türkei auf der linken Verteidigerposition auszuprobieren, waren gescheitert und sorgten für Unmut im Umfeld der Nationalelf. Die Stimmung war am Tiefpunkt angelangt und so wurde die Nationalmannschaft nach der Pleite gegen Österreich im November vergangenen Jahres mit lauten Pfiffen in die Winterpause verabschiedet.

Nagelsmanns Rollenspiele gehen auf

Im März 2024 folgte dann aber der Wendepunkt. Bei der Kader-Bekanntgabe vor den ersten Länderspielen im März überraschte Nagelsmann mit sechs Neulingen im DFB-Team. Bayerns Youngstar Aleksandar Pavlović, Maximilian Beier aus Hoffenheim, Deniz Undav, Maximilian Mittelstädt, Waldemar Anton vom VfB Stuttgart sowie der Heidenheimer Freistoßkünstler Jan-Niklas Beste waren neu dabei.

Etablierte Stars wie die Dortmunder Mats Hummels, Nico Schlotterbeck, Julian Brandt, Niklas Süle oder auch Karim Adeyemi mussten genauso zu Hause bleiben wie Leon Goretzka aus München.

Nations League A Freiburg 2024 | Sandro Wagner, Benjamin Glück und Julian Nagelsmann nach SiegFußball: Nations League A | Deutschland - Bosnien-Herzegowina | Sandro Wagner, Benjamin Glück und Julian Nagelsmann nach Sieg
Bundestrainer Julian Nagelsmann (r.) mit seinen Assistenten Sandro Wagner (l.) und Benjamin GlückBild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Der drastische Kurswechsel brachte frischen Wind ins DFB-Team und leitete einen Stimmungswandel ein. “Es war klar, dass die größte Schraube ist, den Kader so zu verändern, dass wir nicht die besten Spieler nominieren, sondern die, die zusammenpassen, bei denen wir das Gefühl haben, sie definieren sich über ihre Rolle und können gut damit umgehen”, erklärte Nagelsmann.

Toni Kroos zurück im DFB-Team

Zugunsten der funktionierenden Teamchemie verzichtet der Bundestrainer auch mal auf Qualität. Zudem hat er seine Spielidee ein wenig vereinfacht und der Situation angepasst. Denn die Zeit bis zur Weltmeisterschaft 2026 sei sehr knapp um neue Dinge auszuprobieren und einzustudieren, betont der 37-Jährige in regelmäßigen Abständen.

Kurz vor der Heim-EM im Sommer gelang Nagelsmann dann der entscheidende Coup: Er holte Weltmeister Toni Kroos, der 2021 seinen Rücktritt aus der DFB-Elf erklärt hatte, zurück in die Nationalmannschaft. Unter Kroos’ Regie spielte Deutschland eine gute Europameisterschaft und brachte vor allem die Fans wieder hinter sich.

Kimmich: “Jeder hat seine Rolle mit

ATACMS-Raketen gegen Russland: Was die Ukraine erwartet – DW – 19.11.2024

In der Nacht zum 19. November soll die Ukraine amerikanische ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System) eingesetzt haben, um ein Munitionsdepot in der russischen Region Brjansk zu treffen. Brjansk ist eine Grenzregion Russlands, die sowohl an die Ukraine als auch an die Region Kursk grenzt, die teilweise unter ukrainischer Kontrolle steht. Kyjiw hatte von den USA seit Monaten grünes Licht für den Einsatz dieser Raketen mit einer Reichweite von 300 Kilometern gegen Ziele im Hinterland der Russischen Föderation gefordert.

Die Forderung ist auch Teil des Siegesplans, den Wolodymyr Selenskyj im Oktober in den USA und anderen Ländern vorgestellt hatte. Auf die Meldungen über die Aufhebung der Beschränkungen reagierten die Bürger und auch die ukrainische Führung allerdings vorerst noch verhalten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Besuch bei US-Präsident Joe Biden in Washington, D.C
“Die Raketen werden für sich selbst sprechen”: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zu Besuch bei US-Präsident Joe Biden in Washington, D.C Bild: SvenSimon-ThePresidentialOfficeUkraine/picture alliance

Erst am 17. November hatten westliche Medien unter Berufung auf informierte Quellen berichtet, die Administration des US-Präsidenten Joe Biden habe das Verbot aufgehoben, mit amerikanischen Waffen Ziele in Russland anzugreifen. Später meldete das Nachrichtenportal Axios, die Entscheidung der USA beziehe sich ausschließlich auf die russische Region Kursk, wo inzwischen Soldaten aus Nordkorea stationiert sind. Präsident Selenskyj zeigte sich irritiert über diese Berichte. “Solche Dinge kündigt man nicht an. Die Raketen werden für sich selbst sprechen”, erklärte er.

“Der Tag, an dem die Eskalation begann”

Die Reaktionen auf die Aufhebung der Beschränkungen fallen in sozialen Netzwerken höchst unterschiedlich aus. Einige bezeichnen die Entscheidung der USA als verspätet und einseitig, aber als lang erwartet und notwendig.

Viele äußern sich jedoch verärgert darüber, dass die Aufhebung der Beschränkungen bekannt geworden ist, noch bevor die Ukraine militärische Ziele in Russland angreifen konnte. Einige vermerkten den 17. November in ihrem Kalender als “Tag, an dem die Eskalation begann”.

Ukrainische Experten wiederum weisen darauf hin, dass die Aufhebung von Beschränkungen beim Einsatz von ATACMS-Raketen eine gewisse Gleichstellung der Ukraine im Krieg bedeutet. Dies meint auch der Leiter des Ukrainischen Zentrums für Sicherheit und Zusammenarbeit, der Militärexperte Serhij Kusan. “Waffen mit längerer Reichweite bedeuten Parität, weil die Russen die Ukrainer in einer Tiefe von 1600 bis 2500 Kilometern angreifen können, weshalb sie über gleiche Fähigkeiten verfügen sollten”, so Kusan gegenüber der DW.

Der Experte findet, dass die Entscheidung der USA bezüglich des Einsatzes von ATAMCS-Raketen zwar etwas zu spät komme, aber trotzdem wichtig sei. Kusan ist sich sicher, dass die Angriffsfähigkeit der Ukraine damit erheblich gestärkt wird, was sich in Zukunft auf die Lage an der Front auswirken wird – vor allem bei der Abwehr von Angriffen der russisch-nordkoreanischen Kräfte in der Region Kursk.

“Warum nicht die gleichen Möglichkeiten für Kyjiw?” 

“Es ist klar, dass die Russen die ukrainische Kontrolle über Teile der russischen Region Kursk so schnell wie möglich beseitigen wollen. Deshalb hat die US-Regierung die Beschränkungen für die Ukraine aufgehoben und sich auf das Einsatzgebiet in der Region Kursk konzentriert. Man muss aber auch beachten, wie viele ATACMS-Raketen die Ukraine hat, was nicht weniger wichtig ist, um Ziele in Russland effektiv zu treffen”, betont Kusan.

Bradley-Kommandant "Kach" nach Kampf in der Region Kursk
“Manövrierfähigkeit des Feindes erschweren”: Kämpfe in der Region Kursk Bild: DW

“Die Russen eskalieren, holen nordkoreanische Truppen hinzu und haben so zusätzliche Reserven für den Frontabschnitt bei Pokrowsk und Kurachowe freigesetzt. Warum sollte Kyjiw entlang der ganzen Front nicht die gleichen Möglichkeiten erhalten?”, fragt der Experte.

Kostiantyn Maschowez, Militärexperte vom nichtstaatlichen Projekt “Gruppe ‘Informations-Widerstand'” meint, ein Einsatz von ATACMS-Raketen könne den ukrainischen Streitkräften ermöglichen, wirksame Angriffe im russischen Hinterland durchzuführen, wo sich Logistikkräfte und Kommandostellen befinden. “Das kann die Manövrierfähigkeit des Feindes erschweren”, betont er.

Argument bei Verhandlungen?

Oleksandr Krajew vom Analysezentrum “Ukrainian Prism”, das auf Außenpolitik und internationale Sicherheit spezialisiert ist, meint, die Aufhebung der Beschränkung helfe, die Position der Ukraine bei künftigen Verhandlungen zu stärken. “Das kann ein Argument in Gesprächen sein: Die Ukrainer greifen das Territorium der Russischen Föderation nicht mehr an und die Russen verlassen dafür das Territorium der Ukraine”, sagt der Experte der DW. 

Krajew glaubt, dass man auch die nun geltenden Beschränkungen, was die Reichweite von 300 Kilometer angeht, nach und nach lockern könnte und Kyjiw irgendwann bekommen werde, was es wolle. Die Partner der Ukraine wollen erstmal sehen, wie Russland reagiert. Aber die Zeit werde zeigen, ob Russland überhaupt reagiert und ob es zur Eskalation kommt, die der Westen so stark befürchtet. 

Adaptation aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Schreibweise der ukrainischen Hauptstadt umgestellt auf “Kyjiw” (statt, wie bisher, “Kiew”). Damit transkribieren wir den Namen korrekt aus der ukrainischen Sprache – so, wie wir auch bei allen anderen ukrainischen Ortsnamen verfahren.

4000 KI-gesteuerte Drohnen für die Ukraine – DW – 19.11.2024

Es ist die Software, die die neue Drohne auszeichnet: Gemeinsam mit einem ukrainischen Hersteller hat die deutsche KI-Firma Helsing eine Kampfdrohne entwickelt, die Berichten zufolge ihre Ziele autonom ansteuern kann. Einmal programmiert, fliegt eine sogenannte Kamikaze-Drohne selbständig zu ihrem Ziel und greift es an. Beim Aufprall auf ihr Ziel detoniert sie und wird dabei zerstört. 

4000 Stück dieser Kampfdrohnen bekommt die Regierung in Kyjiw nun – ausgestattet mit der in Deutschland entwickelten KI. Die technischen Details und den genauen Ort der Produktion hielten beide Seiten aus Sicherheitsgründen geheim. Fotos der Drohne gibt es bislang nicht.

“Die elektronische Abwehr unterlaufen”

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gab lediglich einige allgemeine Informationen zur neuen Kampfdrohne preis: “Das sind Drohnen, die in der Lage sind, 30-40 Kilometer ins Hinterland zu reichen, die Gefechtsstände, Logistik-Knoten und anderes angreifen können.” Die Drohne besitze die Fähigkeit, “auch bei Störung durch die gegnerische elektronische Abwehr diese zu unterlaufen und das Ziel trotzdem zu erreichen”, ergänzte Pistorius. 

Ein ukrainischer Soldat lanciert eine Drohne, an der ein Sprengsatz befestigt ist
Ein ukrainischer Soldat mit einer Drohne, an der ein Sprengsatz befestigt istBild: Oleksandr Ratushniak/REUTERS

Die meisten Drohnen werden über Funk, manche auch über GPS gesteuert. Mithilfe von Störsendern, sogenannten Jammern, können sie von ihrem Kurs abgebracht werden und abstürzen. Drohnen, die die elektronische Abwehr des Gegners überwinden können, stellen deshalb einen großen strategischen Vorteil dar.

Er habe sich den Prototypen der Drohne vor einigen Monaten in der Ukraine angesehen, ergänzte der Bundesverteidigungsminister. Er sei überzeugt davon, dass diese Drohnen “ein echt wichtiges Asset” für die Ukraine seien. Bisher hatte Deutschland im Rahmen seiner Militärhilfe nur Aufklärungsdrohnen an die Ukraine geliefert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bleibt aber bei seiner Haltung, keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine abzugeben, mit denen Ziele weit in russischem Territorium bekämpft werden könnten.   

Drohnen als Ersatz für Artillerie    

Drohnen sind auf dem Gefechtsfeld in der Ukraine omnipräsent. Sowohl Russen als auch Ukrainer setzen sie hunderttausendfach ein. Russland greift immer wieder auch zivile Ziele und Infrastruktur in der Ukraine mit Drohnen an. Den ukrainischen Streitkräften dienen Drohnen auch als Ersatz für fehlende Artillerie-Geschütze und Munition. Sie behelfen sich mit günstigen ferngesteuerten Drohnen, die sie mit Sprengmitteln ausrüsten und gegen russische Stellungen einsetzen.

KI für militärische Zwecke

Helsing ist ein Unternehmen mit Sitz in München, das sich auf die Entwicklung von KI-Anwendungen für den Rüstungssektor spezialisiert hat. Seit seiner Gründung im Jahr 2021 hat das Unternehmen eine Reihe von Aufträgen in der Rüstungsindustrie an Land gezogen. Unter anderem arbeitet Helsing an der elektronischen Kampfführung des deutschen Eurofighters und an der KI-Infrastruktur für das “Future Combat Air System” (FCAS), das Kampfflugzeug der Zukunft.

Pistorius zu Datenkabel-Defekt: Müssen von Sabotage ausgehen – DW – 19.11.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius geht davon aus, dass Kabel zur Datenübertragung in der Ostsee – unter anderem zwischen Deutschland und Finnland – absichtlich beschädigt wurden. “Niemand glaubt, dass diese Kabel aus Versehen durchtrennt worden sind”, sagte Pistorius am Rande eines EU-Verteidigungsministertreffens in Brüssel.

Es müsse davon ausgegangen werden, “ohne konkret zu wissen, von wem es kommt, dass es sich um eine hybride Aktion handelt”, fuhr der Minister fort. “Und wir müssen auch davon ausgehen, ohne es schon zu wissen, versteht sich, dass es sich um Sabotage handelt.”

Außenministerien “zutiefst besorgt”

Der finnische Technologiekonzern Cinia hatte zuvor mitgeteilt, dass aus ungeklärten Gründen ein Unterwasserkabel zwischen Deutschland und Finnland durchtrennt sei. Der Defekt an dem Kabel Cinia C-Lion1 sei am Montag festgestellt worden. Aufgrund der Beschädigung seien die über das Kabel bereitgestellten Kommunikationsverbindungen unterbrochen.

Das finnische Außenministerium und das Auswärtige Amt in Berlin zeigen sich “zutiefst besorgt”. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte: “Wir nehmen diese hohe Bedrohungslage sehr, sehr ernst.” Zu der Beschädigung des Kabels sei es in schwedischen Gewässern gekommen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sei im Austausch mit den finnischen Behörden. “Wir sind als Behörden noch nicht beteiligt, haben aber Hilfe angeboten zur Unterstützung”, so Faeser.

Auf diesem von der schwedischen Küstenwache zur Verfügung gestellten Bild ist ein Leck in Nord Stream 2 zu sehen
Das Kabel C-Lion1 verläuft teils über dieselbe Route wie die Nord-Stream-Pipelines – hier ein Foto kurz nach deren Zerstörung 2022Bild: Swedish Coast Guard/AP/dpa/picture alliance

C-Lion1 verläuft auf einer Länge von gut 1170 Kilometern von der finnischen Hauptstadt Helsinki bis nach Rostock in Mecklenburg-Vorpommern, teils über dieselbe Route wie die vor zwei Jahren zerstörten Nord-Stream-Pipelines. Das Kabel ist im Frühjahr 2016 in Betrieb genommen worden und das einzige Untersee-Datenkabel, das direkt von Finnland nach Mitteleuropa führt.

Weiteres Kabel zwischen Schweden und Litauen beschädigt

Der schwedische Minister für Zivilverteidigung, Carl-Oskar Bohlin, teilte unterdessen mit, dass ein zweites Unterwasserkabel in der Ostsee beschädigt worden sei. “Es ist wichtig klarzustellen, dass wir derzeit zwei Kabel in der Ostsee haben, die nicht funktionieren”, betonte Bohlin. Die schwedische Regierung verfolge die Entwicklungen “sehr genau” und steht in Kontakt mit ihren Behörden. Demnach handelt es sich bei dem zweiten beschädigten Kabel um eine Telekommunikationsverbindung zwischen Schweden und Litauen. Auch ein Sprecher des schwedischen Kommunikationsunternehmens Telia bestätigte, dass ein Kabel zwischen Schweden und Litauen beschädigt worden sei. 

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 und den durch Sabotage herbeigeführten Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee im darauffolgenden September ist die Lage von kritischer Infrastruktur gerade in der Ostsee in den Fokus der Öffentlichkeit und insbesondere der NATO gerückt.

pg/wa (dpa, afp, rtr)

Merkwürdige Schiffsbewegungen: Spionage am Grund der Ostsee?

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