DGB fordert am Tag der Arbeit “Tarifwende” in Deutschland – DW – 01.05.2024

Auf Kundgebungen und Veranstaltungen in ganz Deutschland haben die Gewerkschaften zum Tag der Arbeit bessere Arbeitsbedingungen und mehr Tarifbindung gefordert. “Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit”, zitierte die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, das Motto bei der zentralen Kundgebung in Hannover. Ihre Stellvertreterin Elke Hannack sprach sich in Münster für mehr Investitionen und mehr Personal im öffentlichen Dienst aus.

Der Staat solle “auf allen Ebenen seine Aufgaben erfüllen und den Bedürfnissen unserer Bürgerinnen und Bürger gerecht werden”, sagte Hannack und warnte vor einem Sparkurs in der Bildungspolitik. “Wichtig sind jetzt mehr Erzieherinnen und Erzieher, mehr Lehrerinnen und Lehrer sowie mehr Sozialarbeit an Schulen und Kitas, die besser ausgestattet werden müssen.”

“130 Milliarden Euro Schaden”

Fahimi pochte auf eine “Tarifwende”. Nur noch gut die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland falle unter den direkten Schutz eines Tarifvertrags, sagte die SPD-Politikerin. “Tarifflucht” der Arbeitgeber verursache jedes Jahr einen volkswirtschaftlichen Schaden von 130 Milliarden Euro.

1. Mai Tag der Arbeit
Kundgebungen am Tag der Arbeit gab es in ganz Deutschland – wie hier in Berlin …Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Erst Tarifverträge machten Beschäftigte zu freien Menschen in der Arbeitswelt, betonte Fahimi. Sie sorgten für mehr Lohn, faire Bezahlung und geregelte Arbeitszeiten. Es dürfe “keinen Cent Steuergeld für Tarifflucht und Lohndumping” geben, forderte die frühere Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium. Die Regierung müsse über das Bundestariftreuegesetz hinaus Maßnahmen ergreifen, damit wieder 80 Prozent der Arbeitsplätze tarifgebunden seien.

“Wie soll das alles gehen?”

In ihrer Rede verlangte Fahimi außerdem mehr Investitionen. Deutschland lebe seit mindestens zwei Jahrzehnten von seiner Substanz, kritisierte sie. Nun stünden ein historischer Umbau der Energieinfrastruktur und ein Digitalisierungsschub bei der öffentlichen Verwaltung an. “Wie soll das alles gehen, wenn man dafür nicht mehr Geld in die Hand nimmt?”

1. Mai Tag der Arbeit
… Frankfurt …Bild: Andreas Arnold/dpa/picture alliance

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte in einer Videobotschaft, die Beschäftigten in Deutschland hätten 2023 so viele Stunden gearbeitet wie nie zuvor. “Deshalb ärgert es mich, wenn manche abschätzig vom ‘Freizeitpark Deutschland’ reden – oder wenn gefordert wird, das Renteneintrittsalter anzuheben.”

Arbeitgeber: “Mehr und nicht weniger Arbeit”

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte dagegen “mehr und nicht weniger Arbeit in Deutschland”. In Zeiten geringen Wachstums, einer immer älter werdenden Gesellschaft sowie eines hohen Arbeits- und Fachkräftemangels “müssen wir gemeinsam anpacken”, erklärte Dulger. Es gebe “keinen anstrengungslosen Wohlstand”. Im Mittelpunkt müsse die Frage stehen, wie der Standort Deutschland wieder attraktiv gemacht werden könne.

1. Mai Tag der Arbeit
… oder NürnbergBild: Daniel Vogl/dpa/picture alliance

Der Gewerkschaftsbund feierte den Tag der Arbeit nach eigenen Angaben mit mehreren Hundert Kundgebungen und Veranstaltungen auf Straßen und Plätzen der Republik. In Berlin folgten dem DGB-Aufruf nach einer Polizeischätzung mehr als 7500 Menschen. In Hamburg waren es fast ebenso viele. Die Teilnehmerzahl bei der Hauptkundgebung in Hannover gab der DGB mit mehr als 10.000 an, die Polizei der niedersächsischen Landeshauptstadt sprach von deutlich weniger Menschen.

Der 1. Mai ist in vielen Ländern Europas, aber auch in Staaten anderer Kontinente ein Feiertag. Als Tag der Arbeiterbewegung wurde er bekannt, nachdem im 19. Jahrhundert Generalstreiks und Massenkundgebungen an diesem Datum stattgefunden hatten.

jj/sti (dpa, afp)

Großflächige Evakuierung nach Vulkanausbruch in Indonesien – DW – 01.05.2024

Nach dem neuerlichen Ausbruch des Vulkans Ruang in Indonesien müssen Tausende Anwohner in Sicherheit gebracht werden. Mehr als 6500 Menschen aus fünf Bezirken hätten bereits ihre Häuser verlassen, sagte ein Mitarbeiter der Rettungsdienste der Deutschen Presse-Agentur.

Insgesamt sind nach Angaben des Katastrophenschutzes rund 12.000 Menschen von der Evakuierung betroffen. Diese umfasst ein Gebiet von sieben Kilometern um den Feuerberg. Auch Schiffe der Marine sind im Einsatz. Im Sangihe-Archipel nördlich der Insel Sulawesi erhebt sich der Krater des Ruang 725 Meter hoch aus dem Meer.

Indonesien Vulkanausbruch des Mount Ruang in Nord-Sulawesi
Helfer der Marine bringen nicht nur Menschen aus der Gefahrenzone, sie sind auch an der Verteilung von Hilfsgütern beteiligt, die infolge der Evakuierung gebraucht werdenBild: REUTERS

Am Dienstag hatte der Vulkan eine 2000 Meter hohe Säule aus Asche, Rauch und Gestein in den Himmel geschleudert, begleitet von “Donnergrollen und anhaltenden Beben”, wie die nationale Agentur für Vulkanüberwachung bekanntgab. Daraufhin riefen die Behörden erneut die höchste Alarmstufe und eine Tsunami-Warnung aus. Der Flughafen von Manado, der Hauptstadt der Provinz Sulawesi, sowie weitere Flughäfen der Region wurden vorübergehend geschlossen.

Indonesien Vulkanausbruch des Mount Ruang in Nord-Sulawesi
Schon seit Mitte April schleudert der Ruang Asche, Rauch und Gestein in den Himmel, begleitet von Donnergrollen und ErdbebenBild: AFP/Getty Images

Seit Mitte April brach der Schichtvulkan bereits mehrere Male aus. Im Jahr 1871 hatte eine besonders heftige Eruption für einen Tsunami mit bis zu 25 Meter hohen Wellen gesorgt. Auf der Nachbarinsel Tagulandang kamen damals etwa 400 Menschen ums

Übergangsrat in Haiti trifft erste Personalentscheidungen – DW – 01.05.2024

Der Übergangsrat, der nach dem Rücktritt des umstrittenen Premierministers Ariel Henry die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, kürte Ex-Sportminister Fritz Bélizaire während einer Zeremonie in der Hauptstadt Port-au-Prince zu Henrys Nachfolger. Zudem wurde der ehemalige Senatspräsident Edgard Leblanc Fils zum Präsidenten des Übergangsrats von Haiti gewählt. Dem Politiker kommt nun eine koordinierende Rolle innerhalb des Übergangsrats zu, der seit vergangener Woche im Amt ist. Sowohl Bélizaire als auch Leblanc Fils wurden mit einer knappen Mehrheit von vier der insgesamt sieben Stimmen im Übergangsrat gewählt.

Die neun Mitglieder des neuen Übergangsrates bei einem Treffen in Port-au-Prince
Die Mitglieder des neuen Übergangsrates bei einem Treffen in Port-au-PrinceBild: Johnson Sabin/EPA

Das Gremium hat die Aufgabe, die öffentliche Ordnung in dem von Bandengewalt beherrschten Inselstaat wiederherzustellen und das Land bis zur Abhaltung neuer Wahlen zu führen. Bis zum 6. Februar 2026 soll eine gewählte Regierung stehen. In Haiti sind seit 2016 keine Wahlen mehr abgehalten worden.

Weder Präsident noch Parlament

Seit der Ermordung des amtierenden Staatschefs Jovenel Moise im Jahr 2021 hat der Karibikstaat zudem keinen Präsidenten. Ein arbeitsfähiges Parlament gibt es ebenfalls nicht. Haiti leidet unter einer Welle von massiver Bandengewalt, die humanitäre Lage in dem verarmten Karibikstaat hatte sich in den vergangenen Wochen zusehends verschlechtert.

Wie die Welt Haiti destabilisiert hat

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Kriminelle Gangs kontrollieren inzwischen weite Teile des Landes und rund 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince. Den Banden werden zahlreiche Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung und Lösegelderpressung vorgeworfen.

Eskalation der Bandengewalt

Die Situation im Land hatte sich Ende Februar während einer Auslandsreise von Regierungschef Ariel Henry verschärft. Bewaffnete Bandenmitglieder griffen Polizeiwachen an und befreiten tausende Häftlinge aus Gefängnissen. Sie forderten den Rücktritt des seit 2021 regierenden Henry, der eigentlich schon Anfang Februar aus dem Amt des Ministerpräsidenten hätte scheiden sollen. Aufgrund der Zuspitzung der Lage konnte Henry von einer Auslandsreise nach Kenia, auf der er über die Entsendung einer internationalen Polizeimission verhandelte, nicht nach Haiti zurückkehren. Der Regierungschef sah sich am 12. März zum Rücktritt gezwungen.

Mehr als 360.000 Menschen in Haiti haben aufgrund der Krise ihre Häuser verlassen müssen und gelten als Vertriebene im eigenen Land. Eine bereits bestehende Hungerkrise verschärfte sich. Alle Linienflüge wurden gestrichen, ausländische Diplomaten und Bürger aus Haiti evakuiert. Haiti gilt als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Der Inselstaat wurde in den vergangenen Jahren auch immer wieder von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Wirbelstürmen erschüttert.

kle/sti (epd, afp, dpa, ape)

AfD, Putin & China: Europas Rechte droht Spaltung – DW – 30.04.2024

Den Wählern macht die AfD vor der Wahl zum EU-Parlament am 9. Juni 2024 ein Versprechen: Sie kämpft gegen “Einschränkungen der nationalen Souveränität und die Umverteilung von Wohlstand und Vermögen durch EU-Regelungen”. Und sie sagt in ihrem Europawahlprogramm, dass sie für dieses Ziel auch andere europäische Parteien gewinnen will.

Nur, nach all den Skandalen der AfD in den vergangenen Monaten – wer in Europa will noch mit der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland und ihren Skandalen in eine gemeinsame Fraktion? Mit einer Partei, in der Politiker unter Verdacht stehen, illegale Gelder aus Russland angenommen zu haben? Oder die einen chinesischen Spion beschäftigt haben sollen und Chinas autoritäres Regime anhimmeln?

Vor allem das Verhältnis zu Frankreichs extremer Rechter, zu Marine Le Pen und ihrer Partei Rassemblement National, RN, ist seit Monaten stark belastet. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet von Insider-Aussagen, dass der RN prüfe, nach der Europawahl die gemeinsame Fraktion der extremen Rechten, die Fraktion “Identität und Demokratie” zu verlassen. Auf einer Pressekonferenz am Freitag, den 26. April 2024, wollte sich der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella nicht zu der befreundeten Partei aus Deutschland äußern.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schüttelt die Hand von Marine Le Pen nach einem Treffen am 21. Juni 2022.
Marine Le Pen will Präsidentin von Frankreich werden – die Skandale der befreundeten AfD stören die Strategie, moderat aufzutretenBild: LUDOVIC MARIN/AFP/Getty Images

Europas extreme Rechte und Putin

Die Skandale der AfD stören Marine Le Pen und ihre Pläne, Präsidentin von Frankreich zu werden. Denn die Nähe zu Radikalen, zum autokratischen Angriffskrieger Wladimir Putin und zu einem chinesischen Spione passen nicht in ihre präsidiale Strategie. Dabei präsentierte sie sich noch 2017 stolz an der Seite Putins und nahm einen millionenschweren Kredit einer Kreml-nahen Bank an. 

Aber jetzt sucht Frankreichs Rechte die Distanz. Das hat sie im Februar schon die AfD-Parteichefin Alice Weidel spüren lassen. Auf einem Treffen der beiden am 20. April 2024 in Paris soll Le Pen von der Deutschen eine schriftliche Verpflichtung gefordert haben, mutmaßliche Pläne zur Vertreibung von Migranten aus Deutschland niemals Parteiprogramm werden zu lassen.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am 23.4.2024 vor ihrem Amtssitz Palazzo Chigi in Rom.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gilt als Transatlantikerin – anders als andere europäische rechtsaußen ParteienBild: ABACAPRESS/IMAGO

Auch in Italien scheinen die Ultrarechten keine aussichtsreichen Partner für die AfD zu sein. Im Januar 2024 erklärte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, zwischen ihrer ultrarechten Partei Fratelli d‘Italia und der AfD gebe es “unüberbrückbare Differenzen”. Die würden bei den Beziehungen zu Russland anfangen, so Meloni auf einer Pressekonferenz in Rom. Die Postfaschistin Meloni gilt zwar in der Innen- und Migrationspolitik als Hardlinerin, außenpolitisch orientiert sie sich aber, anders als die AfD, am transatlantischen Bündnis mit den USA.   

AfD geht auf Distanz zu Krah

Die AfD selbst reagiert auf die eigenen Skandale verunsichert. Zum Wahlkampfauftakt Ende April verdonnerte die Parteispitze den eigenen Spitzenkandidaten Maximilian Krah dazu, nicht teilzunehmen. Denn die Liste der Beschuldigungen, Verdächtigungen und Gerüchte um ihn ist zu lang geworden: ein Mitarbeiter von ihm wurde gerade erst wegen Spionageverdachts für China verhaftet.

Außerdem vernahm das FBI Krah laut Medienberichten in New York wegen der Gelder aus Russland. Und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden leitete zwei Vorermittlungen gegen ihn ein, wegen des Verdachts auf illegale Zahlungen aus Russland und China. Krah weist alle Anschuldigungen zurück. Den Sicherheitsbehörden hat er seine Zusammenarbeit angeboten.

Petr Bystron spricht am 20.11.2021 auf einer Demonstration in München in ein Megaphon.
AfD-Politiker Petr Bystron steht im Verdacht illegale Gelder von einem prorussischen Propagandanetzwerk angenommen zu habenBild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Ein weiteres Problem der AfD ist, dass auch die Nummer Zwei der Wahlkampfliste derzeit angeschlagen ist. Petr Bystron steht ebenfalls im Verdacht, illegale Zahlungen aus Russland empfangen zu haben. Bei ihm wirkt der Verdacht noch schwerer: Medien berichten von Audioaufnahmen, in denen sich Bystron sich haben soll, dass das Geld in zu großen Scheinen ausgezahlt werde. 

Angesichts der Ausweitung der Skandale gerät in den eigenen Reihen auch die Parteispitze in die Kritik. Die scheidende AfD-Europaabgeordnete Sylvia Limmer kritisiert, dass ein umstrittener Politiker mit seinen China-Kontakten überhaupt als Spitzenkandidat aufgestellt wurde: “Denn die Hinweise waren hinreichend bekannt.”

AfD: kein Ende der Skandale?

Das Ende der Skandale ist für die AfD noch längst nicht ausgemacht. Der deutsche Justizminister, Marco Buschmann, rechnet für die kommenden Monate mit weiteren Spionagefällen: “Wir müssen davon ausgehen, dass wir auch in den nächsten Monaten weitere Enttarnungen vornehmen werden”, sagte Buschmann dem ARD-Fernsehen.

Und auf der AfD-Kandidatenliste zur Wahl des EU-Parlaments stehen neben Maximilian Krah und Petr Bystron weitere umstrittene Parteimitglieder. So hat der aussichtsreiche Kandidat Siegbert Droese in der Vergangenheit mit Hand auf dem Herz vor Hitlers Führerbunker, der sogenannten Wolfsschanze, posiert. 

Droese ließ außerdem Wahlkampf mit einem AfD-Wagen machen, dass die szenetypischen Symbole für Adolf Hitler als Auto-Kennzeichen hatte. Und auf den vorderen Plätzen tummeln sich außerdem zwei Mitglieder, die wegen vermeintlicher Hochstapelei von der eigenen Partei mit einer Ämtersperre belegt wurden.

Schulen in Deutschland – das mobbende Klassenzimmer – DW – 30.04.2024

An manchen Tagen ist die Welt für die deutsche Bildungsministerin noch in Ordnung. Zum Beispiel dann, wenn wie jedes Jahr die besten Lehrer ausgezeichnet werden. Und Bettina Stark-Watzinger die besondere Ehre hat, auf die Sieger des Deutschen Lehrkräftepreises eine Laudatio halten zu dürfen. Der Mathelehrer beispielsweise, der laut seinen Schülern auch die unerträglichste Stunde noch spannend macht. Oder die Sonderpädagogin, die Schüler mit Rollstuhl in ihr Theaterprojekt engagiert. Oder der Lehrer, der selbst erstellte Videos in seinen Unterricht einbaut.

Alles wunderbar also im Land der Dichter der Denker? Es geht so.

Denn in den vergangenen Wochen und Monaten machte eine Studie nach der anderen deutlich, dass das deutsche Bildungssystem dringend Nachhilfe benötigt. Da war zunächst die PISA-Studie im Dezember, bei der deutsche Schülerinnen und Schüler in Mathematik und beim Lesen so schlecht wie noch nie abschnitten.

In der Jugendstudie 2024 kritisierten junge Menschen ein eklatantes Digitalisierungsdefizit in der Schule und dass diese sie nicht auf die Arbeitswelt und das wirkliche

Iran verschärft gewaltsame Unterdrückung der Frauen – DW – 30.04.2024

Die iranischen Behörden verstärken ihre Straßenpatrouillen, um Frauen zu unterdrücken, die sich weigern, die strenge islamische Kleiderordnung einzuhalten.

Der geistliche Führer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, gibt dabei Rückendeckung für eine neue Kampagne mit dem Namen “Nour” (auf Deutsch: das Licht). Dabei sucht die iranische “Sittenpolizei” bei den sogenannten “Anleitungspatrouillen” nach Frauen, die sich weigern, das Kopftuch zu tragen.

Eine 25-jährige Frau, die im Gespräch mit der DW anonym bleiben wollte, sagte, sie sei am 20. April auf dem Weg zur Universität in den Straßen von Teheran angesprochen worden, weil sie kein Kopftuch trug. Sie sagte, sie sei von Dutzenden Polizeibeamtinnen umringt worden, die von ihr verlangten, ihr Haar zu bedecken. Als sie sich wehrte, seien diese schnell gewalttätig geworden, rissen ihr einige Haare aus und belästigten sie verbal, während sie sie in einen Polizeiwagen zerrten.

Deutschland | Protest Rapper Toomaj Salehi
Protestaktion in der deutschen Hauptstadt Berlin am 28.04.2024Bild: Ebrahim Noroozi/AP Photo/picture alliance

“Ich rief laut, dass meine Kleiderordnung meine eigene Sache ist. Sobald ich das sagte, begannen die Beleidigungen und die Gewalt”, sagte sie. Die Beamtinnen beschimpften sie als Prostituierte und sagten ihr, dass sie, solange sie im Iran lebe, die Gesetze des Landes, die sich aus den islamischen Geboten ergeben, respektieren müsse.

“In diesem Moment wusste ich nicht ganz, was geschah”, sagt sie, “ich wusste nur, dass sie mich schlugen. Später sah ich, dass ich an mehreren Stellen meines Körpers Prellungen hatte”.

Sie habe an die Bewegung “Frauen,

Streit um geplantes NGO-Gesetz in Georgien wird schärfer – DW – 30.04.2024

Es ist ein Gesetz, das angeblich für mehr Transparenz in Georgien sorgen soll. Trotz massenhafter Proteste in den vergangenen Tagen treibt die Regierung des Landes im Südkaukasus dieses Vorhaben weiter voran. Das Parlament in Tiflis befasst sich an diesem Dienstag in zweiter Lesung mit dem Gesetz zur Kontrolle von Einflussnahme aus dem Ausland. Viele Georgier sehen darin aber ein mögliches Mittel, um die Zivilgesellschaft zu kontrollieren.

Der Entwurf sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen ausländische Geldquellen offenlegen müssen. Die Regierungspartei Georgischer Traum will mit dem Gesetz Organisationen dazu verpflichten, sich behördlich registrieren zu lassen, wenn diese zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden.

Viele Projekte zur Demokratieförderung in Georgien bekommen Unterstützung vom Westen, etwa mit Geld aus der Europäischen Union und den USA. Kritiker befürchten, dass dieses Gesetz nach russischem Vorbild missbraucht werden soll, um Geldflüsse zu stoppen und prowestliche Kräfte zu verfolgen.

Protest und Beifall

Zuletzt gingen am Sonntag rund 10.000 Menschen in Tiflis auf die Straße, um gegen das Vorhaben der Regierung zu demonstrieren. Die Kundgebung wurde von einem breiten Bündnis aus Oppositionsparteien und Menschenrechtsgruppen organisiert. Dabei war es auch zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen.

Georgien | Protest in Tiflis -Auseinandersetzungen zwischen Regierungskritikern und Polizisten in Tiflis (28.04.2024)
Auseinandersetzungen zwischen Regierungskritikern und Polizisten in Tiflis (am Sonntag)Bild: Zurab Tsertsvadze/AP Photo/picture alliance

An diesem Montag brachte dann die Regierungspartei Georgischer Traum, die das Gesetz weiter vorantreibt, ihre Anhänger in Tiflis zusammen. Die Straßen im Zentrum der Hauptstadt waren voll von regierungsfreundlichen Demonstranten. Hunderte Busse hatten sie selbst aus den abgelegenen Regionen Georgiens nach Tiflis gebracht. Von mehr als 100.000 Kundgebungsteilnehmern ist in Medienberichten die Rede.

Die georgischen Oppositionsparteien werfen der Regierung indes vor, Beamte zur Teilnahme an der Demonstration gezwungen zu haben. Unter den Kritikern ist auch Georgiens Präsidentin Salome Surabitschwili, deren Amt eher repräsentativen Charakter hat. Sie bezeichnete die regierungsfreundliche Kundgebung als eine Aktion vom “Typ Putin”: “Beamte werden nach Tiflis ‘gekarrt’, um den Entscheidungen der Regierungspartei Beifall zu spenden.”

Ein hochrangiges Mitglied der Regierungspartei wurde von lokalen Medien mit den Worten zitiert, dass die Partei ihre Anhänger bei Reisekosten und Transport unterstützt habe. Sie seien aber nur aus eigenem Antrieb nach Tiflis gekommen.

Am Montag kam auch der Rechtsausschuss des georgischen Parlaments zusammen, um die zweite Lesung des umstrittenen Gesetzes vorzubereiten. 14 Abgeordnete der Opposition wurden im Lauf der Sitzung ausgeschlossen.

Demonstration in Georgien | Bidzina Iwanischwili auf Pro-Regierung-Demo (29.04.2024)
Milliardär Iwanischwili bei der Kundgebung am Montag: “Kanonenfutter im Kampf gegen Moskau”Bild: Shakh Aivazov/AP/dpa/picture alliance

Die frühere Sowjetrepublik Georgien orientiert sich nach Westen und ist EU-Beitrittskandidat. Auch die Regierung von Georgischer Traum ist zwar für eine Annäherung an die Europäische Union, sie verficht aber zugleich eine Anlehnung an Russland. Der Milliardär Bidsina Iwanischwili, der starke Mann in der Partei, warf am Montag dem Westen vor, Georgien wie die Ukraine als “Kanonenfutter im Kampf gegen Moskau” zu missbrauchen.

Kritik aus der Europäischen Union

Die EU und viele ihrer Mitgliedstaaten haben das geplante Gesetz über sogenannte Auslandsagenten scharf kritisiert. Politische Stiftungen aus Deutschland, die in Georgien aktiv sind, warnten davor, es in Kraft treten zu lassen. “Sollte das Gesetz verabschiedet werden, würde das die Arbeit der georgischen Zivilgesellschaft und der unabhängigen Medien, die einen enormen Beitrag zum Demokratisierungsprozess Georgiens geleistet haben, erheblich einschränken”, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Stiftungen, die jeweils einer der Parteien CDU, SPD, Grünen und FDP nahestehen.

Die Regierungspartei Georgischer Traum hatte Anfang April angekündigt, den vor einem Jahr nach Massenprotesten mit Zehntausenden Teilnehmern zurückgezogenen Gesetzentwurf in geänderter Fassung erneut zur Abstimmung zu bringen. In einer ersten Version des Gesetzes sollten Organisationen, die finanzielle Unterstützung aus anderen Ländern erhalten, als “ausländische Agenten” eingestuft werden. Im aktuellen Entwurf ist die Rede von “Organisationen, die Interessen einer ausländischen Macht vertreten”.

Gegner des Gesetzesvorhabens sehen Parallelen zu einem Gesetz gegen “ausländische Agenten” in Russland, das es den dortigen Behörden seit dem Jahr 2012 erlaubt, massiv gegen kritische Medien und Organisationen vorzugehen.

AR/jj (dpa, afp, rtr)

AfD, Putin & China: Europas Rechte droht Spaltung – DW – 30.04.2024

Den Wählern macht die AfD vor der Wahl zum EU-Parlament am 9. Juni 2024 ein Versprechen: Sie kämpft gegen “Einschränkungen der nationalen Souveränität und die Umverteilung von Wohlstand und Vermögen durch EU-Regelungen”. Und sie sagt in ihrem Europawahlprogramm, dass sie für dieses Ziel auch andere europäische Parteien gewinnen will.

Nur: nach all den Skandalen der AfD in den vergangenen Monaten – wer in Europa will noch mit der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland und ihren Skandalen in eine gemeinsame Fraktion? Mit einer Partei, in der Politiker unter Verdacht stehen,illegale Gelder aus Russland angenommen zu haben? Oder die einenchinesischen Spion beschäftigt haben sollen und Chinas autoritäres Regime anhimmeln?

Vor allem das Verhältnis zu Frankreichs extremer Rechter, zu Marine Le Pen und ihrer Partei Rasssemblement National, RN, ist seit Monaten stark belastet. Die Neue Zürcher Zeitung berichtet von Insider-Aussagen, dass der RN prüfe, nach der Europawahl die gemeinsame Fraktion der extremen Rechten in Europa, die Fraktion “Identität und Demokratie” zu verlassen. Auf einer Pressekonferenz am Freitag, den 26. April 2024 wollte sich der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella nicht zu der befreundeten Partei aus Deutschland äußern.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schüttelt die Hand von Marine Le Pen nach einem Treffen am 21. Juni 2022.
Marine Le Pen will Präsidentin von Frankreich werden – die Skandale der befreundeten AfD stören die Strategie, moderat aufzutretenBild: LUDOVIC MARIN/AFP/Getty Images

Europas extreme Rechte und Putin

Die Skandale der AfD stören Marine Le Pen und ihre Pläne, Präsidentin von Frankreich zu werden. Denn die Nähe zu Radikalen, zum autokratischen Angriffskrieger Wladimir Putin und zu einem chinesischen Spione passen nicht in ihre präsidiale Strategie. Dabei präsentierte sie sich noch 2017 stolz an der Seite des Putins und nahm einen millionenschweren Kredit einer Kreml-nahen Bank an. 

Aber jetzt sucht Frankreichs Rechte die Distanz. Das hat sie im Februar schon die AfD-Parteichefin Alice Weidel spüren lassen. Auf einem Treffen der beiden am 20. April 2024 in Paris soll Le Pen von der Deutschen eine schriftliche Verpflichtung gefordert haben, mutmaßliche Pläne zur Vertreibung von Migranten aus Deutschland niemals Parteiprogramm werden zu lassen.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am 23.4.2024 vor ihrem Amtssitz Palazzo Chigi in Rom.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gilt als Transatlantikerin – anders als andere europäische rechtsaußen Parteien. Bild: ABACAPRESS/IMAGO

Auch in Italien scheinen die Ultrarechten keine aussichtsreichen Partner für die AfD zu sein. Im Januar 2024 erklärte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, zwischen ihrer ultrarechten Partei Fratelli d‘Italia und der AfD gebe es „unüberbrückbare Differenzen”. Die würden bei den Beziehungen zu Russland anfangen, so Meloni auf einer Pressekonferenz in Rom. Die Postfaschistin Meloni gilt zwar in der Innen- und Migrationspolitik als Hardlinerin, außenpolitisch orientiert sie sich aber, anders als die AfD, am transatlantischen Bündnis mit den USA.   

AfD geht auf Distanz zu Krah

Die AfD selbst reagiert auf die eigenen Skandale verunsichert. Zum Wahlkampfauftakt Ende April verdonnerte die Parteispitze den eigenen Spitzenkandidaten Maximilian Krah dazu, nicht teilzunehmen. Denn die Liste der Beschuldigungen, Verdächtigungen und Gerüchte um ihn ist zu lang geworden: ein Mitarbeiter von ihm wurde gerade erst wegen Spionageverdachts für China verhaftet. Außerdem vernahm das FBI Krah laut Medienberichten in New York wegen der Gelder aus Russland. Und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden leitete zwei Vorermittlungen gegen ihn ein, wegen des Verdachts auf illegale Zahlungen aus Russland und China.

Krah weist alle Anschuldigungen zurück. Den Sicherheitsbehörden hat er seine Zusammenarbeit angeboten.

Petr Bystron spricht am 20.11.2021 auf einer Demonstration in München in ein Megaphon.
AfD-Politiker Petr Bystron steht im Verdacht illegale Gelder von einem prorussischen Propagandanetzwerk angenommen zu habenBild: Sachelle Babbar/ZUMA/picture alliance

Ein weiteres Problem der AfD ist, dass auch die Nummer Zwei der Wahlkampfliste ist derzeit angeschlagen ist. Petr Bystron steht ebenfalls im Verdacht, illegale Zahlungen aus Russland empfangen zu haben. Bei ihm wirkt der Verdacht noch schwerer: Medien berichten von Audioaufnahmen, in denen sich Bystron sich beschwert haben soll, dass das Geld in zu großen Scheinen ausgezahlt werde. 

Angesichts der Ausweitung der Skandale gerät in den eigenen Reihen auch die Parteispitze in die Kritik. Die scheidende AfD-Europaabgeordnete Sylvia Limmer kritisiert, dass ein umstrittener Politiker mit seinen China-Kontakten überhaupt als Spitzenkandidat aufgestellt wurde: “Denn die Hinweise waren hinreichend bekannt.”

AfD: kein Ende der Skandale?

Das Ende der Skandale ist für die AfD noch längst nicht ausgemacht. Der deutsche Justizminister, Marco Buschmann, rechnet für die kommenden Monate mit weiteren Spionagefällen: “Wir müssen davon ausgehen, dass wir auch in den nächsten Monaten weitere Enttarnungen vornehmen werden”, sagte Buschmann dem ARD-Fernsehen.

Und auf der AfD-Kandidatenliste zur Wahl des EU-Parlaments stehen neben Maximilian Krah und Petr Bystron weitere umstrittene Parteimitglieder. So hat der aussichtsreiche Kandidat Siegbert Droese in der Vergangenheit mit Hand auf dem Herz vor Hitlers Führerbunker, der sogenannten Wolfsschanze, posiert.  Droese ließ außerdem Wahlkampf mit einem AfD-Wagen machen, dass die szenetypischen Symbole für Adolf Hitler als Auto-Kennzeichen hatte. Und auf den vorderen Plätzen tummeln sich außerdem zwei Mitglieder, die wegen vermeintlicher Hochstapelei von der eigenen Partei mit einer Ämtersperre belegt wurden.

Warum kauft die EU weiter russisches Gas? – DW – 30.04.2024

Mehr als zwei Jahre nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine strömt noch immer russisches Gas nach Europa. Damit finanzieren Unternehmen aus der EU den Kreml indirekt weiter – wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als noch vor dem Ukraine-Krieg. Rund 34 Prozent der europäischen Gasimporte stammten damals aus Russland. Länder in Mittel- und Osteuropa waren besonders abhängig.

Als die EU zu Beginn des Ukraine-Krieges ein Import-Verbot vorschlug, sprach sich der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sofort dagegen aus. Ohne Russland sei “die Versorgung Europas mit Energie für Wärmeerzeugung, Mobilität, Strom und Industrie derzeit nicht zu sichern”, argumentierte Scholz.

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war diese Sorge durchaus bewusst. Er drosselte die Gaseinfuhren nach Europa. Vor dem Winter 2022 befürchteten die europäischen Staats- und Regierungschefs einen Energieschock. Zwar sind diese Befürchtungen nie eingetreten – doch die Angst saß und sitzt noch immer tief. Auch deshalb hat die EU nie wirklich Sanktionen gegen russisches Gas verhängt.

 “Es gab keine Sanktion”, sagt Benjamin Hilgenstock, Ökonom von der Kyiv School of Economics. “Es war eine freiwillige und kluge Entscheidung der Länder, die Versorgung zu diversifizieren und nicht länger von Russland erpressbar zu sein”, sagte er der DW.

Wie russisches LNG-Gas Pipelinegas ersetzen?

Nach EU-Angaben ist der Anteil des von den Mitgliedstaaten importierten russischen Pipelinegases von 40 Prozent im Jahr 2021 auf etwa acht Prozent im Jahr 2023 gesunken.

Bezieht man jedoch verflüssigtes Erdgas (LNG) mit ein, dann lag der Anteil des russischen Gases an den Gesamteinfuhren der EU im vergangenen Jahr bei 15 Prozent. Flüssiggas; Erdgas, das in abgekühlter und verflüssigter Form mit dem Schiff transportiert werden kann.

Deutschland Wilhelmshaven | Eröffnung von LNG-Terminal | Spezialschiff "Höegh Esperanza"
Deutschland hat schnell seine Abhängigkeit von Russland reduziert durch den Bau von LNG-Terminals – wie hier in Wilhelmshaven. Bild: Michael Sohn/REUTERS

Die EU konnte ihre Russland-Abhängigkeit nach Beginn des Ukraine-Krieges vor allem dadurch verringern, dass sie ihre LNG-Importe aus Ländern wie den Vereinigten Staaten und Katar erhöhte.

Doch damit kam auch vermehrt verbilligtes russisches LNG in die EU. Nach Angaben des Datenanbieters Kpler ist Russland jetzt der zweitgrößte Flüssiggas-Lieferant der EU.

2023 machten die Importe aus Russland 16 Prozent der gesamten LNG-Versorgung der EU aus. Das ist ein Anstieg von über 40 Prozent im Vergleich zu 2021 – also vor Kriegsbeginn. Daten aus dem ersten Quartal 2024 zeigen, dass die russischen Flüssiggas-Exporte nach Europa im Vergleich zum Vorjahr erneut um fünf Prozent gestiegen sind. Frankreich, Spanien und Belgien haben besonders viel LNG importiert. Auf diese drei Länder entfielen 87 Prozent des gesamten Flüssiggases, das im Jahr 2023 in die EU kam.

Länder wollen Verladung von LNG stoppen

Ein großer Teil des russischen Flüssiggases wird jedoch gar nicht für den europäischen Markt benötigt, sondern nur in europäischen Häfen umgeschlagen, sagt der Ökonom Hilgenstock. Das heißt, es kommt an – wird auf andere Schiffe verladen und dann in andere Länder exportiert. “Das hat also nichts mit der europäischen Erdgasversorgung zu tun. Es geht nur darum, dass europäische Unternehmen Geld damit verdienen, russische LNG-Exporte zu ermöglichen.”

Einem aktuellen Bericht des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) zufolge wurde knapp ein Viertel der europäischen Flüssiggasimporte aus Russland (22 Prozent) 2023 wieder auf die globalen Märkte verschifft. Der Großteil ginge an Länder in Asien, sagte Petras Katinas, Energieexperte beim CREA, gegenüber der DW.

Mehrere EU-Mitglieder wie Schweden, Finnland und die baltischen Staaten üben daher Druck auf die EU aus. Sie wollen ein vollständiges Verbot für russisches LNG. Das aber benötigt die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten.

Innerhalb der EU konzentriert sich die Diskussion vor allem auf ein Verbot der Umschlagung von russischem Flüssiggas in den Häfen. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg wird auch über die Sanktionierung wichtiger russischer LNG-Projekte nachgedacht, wie Arctic LNG 2, das Ust Luga LNG-Terminal und eine Anlage in Murmansk.

“Wir sollten russisches LNG im Grunde verbieten”, sagte Hilgenstock on der Kyiv School of Economics. “Wir glauben nicht, dass es eine bedeutende Rolle für die europäische Gasversorgung spielt und relativ leicht durch Flüssiggas aus anderen Quellen ersetzt werden kann.” Auch eine Studie der Denkfabrik Bruegel aus dem Jahr 2023 untermauert diese Aussage.

Dennoch warnte die Europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden – kurz Acer – kürzlich: Eine Reduzierung der russischen LNG-Importe sollte nur “schrittweise” erfolgen, um einen Energieschock zu vermeiden.

Auch Pipeline-Gas kommt noch nach Europa

Die Nord-Stream-Pipelines durch die Ostsee sind derzeit nicht in Betrieb. Auch über die Festlandpipeline Jamal-Europa fließt kein russisches Gas mehr nach Europa. Dennoch erreicht russisches Gas weiter über Pipelines durch die Ukraine die österreichische Erdgasdrehscheibe Baumgarten. Der Grund liegt auf der Hand: Das teilstaatliche österreichische Energieunternehmen OMV hat mit dem russischen Gasriesen Gazprom einen Liefervertrag bis 2040 abgeschlossen.

Österreich bestätigte im Februar dieses Jahres, dass 98 Prozent seiner Gasimporte im Dezember 2023 aus Russland stammten. Laut der Regierung in Wien soll der Vertrag so schnell wie möglich gekündigt werden. Dafür seien aber EU-Sanktionen nötig, um diesen Schritt auch juristisch zu rechtfertigen.

Tatort Ostsee – Wer sprengte die Nord Stream-Pipelines?

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Auch Ungarn hat weiterhin russisches Gas in großen Mengen über Pipelines importiert. Vor kurzem hat das Land einen Gasvertrag mit der Türkei abgeschlossen – viele Experten gehen aber davon aus, dass es sich auch dabei um russisches Gas handelt, das über die Pipeline Turkstream die Türkei erreicht.

Der Ökonom Hilgenstock nimmt an, dass einige Länder weiterhin russisches Gas kaufen, weil sie von günstigen Verträgen profitieren. “Solange es also kein Embargo gegen russisches Erdgas gibt, können diese Länder das auch tun.”

Für Österreich und Ungarn könnte ein mögliches Ende ihrer Pipeline-Importe aus Russland letztlich durch die Ukraine erfolgen. Kiew beharrt nämlich darauf, dass es den bestehenden Vertrag mit Gazprom über die Durchleitung von Gas durch sein Territorium nicht verlängern wird. Dieses Abkommen läuft Ende 2024 aus.

Zeit für ein Embargo?

Obwohl immer noch russisches Gas nach Europa importiert wird, ist der Anteil an den europäischen Gasimporten insgesamt seit 2021 drastisch gesunken. Die EU strebt an, dass die Union bis 2027 völlig frei von russischem Gas ist.

Ein Ziel, das Hilgenstock für zunehmend realistisch hält. “Ich denke, wenn uns dieses ganze Kapitel eines gezeigt hat, dann dass wir unsere Gasversorgung und andere Energiequellen relativ schnell von Russland weg diversifizieren können.”

Dennoch seien die politischen Bedingungen für ein totales Gasembargo – insbesondere für ein Pipelinegas derzeit “nicht besonders günstig”. Hilgenstock verweist auch auf die ungarisches EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 als mögliches Hindernis. Budapest hat engere Beziehungen zu Moskau als die meisten EU-Mitgliedstaaten.

In Bezug auf LNG ist er optimistischer. Neben Maßnahmen der EU müssten aber auch die großen Flüssiggas-Importeure wie Spanien und Belgien selbst die Initiative ergreifen. “Die Einfuhr von russischem Gas durch die Hintertür ist ein großes Problem”. Zum einen wegen der Botschaft, die dadurch ausgesendet werde und man helfe Russland bei seinen LNG-Lieferketten. “Das sollten wir nicht tun.”

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.